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Friedensgebet am 1. August 2016: “Gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei“Friedensgebet am 1. August 2016: “Gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei“

• Reden & Beiträge •

Ansprache von Michael Kölsch in der Nikolaikirche Leipzig

Liebe Friedensgebetsgemeinde,
liebe Gäste,
Herr Erdogan,

ja, wir erlauben uns, hier in der Nikolaikirche zu Leipzig, von der 1989 entscheidende Impulse für den gewaltfreien Sturz des DDR Unrechtsregimes ausgingen, über Ihre Politik und deren Auswirkung auf die Menschen in Ihrem Land aber auch in Deutschland und Europa nachzudenken. Und, nein, wir tun das nicht, um Sie zu beleidigen und wir sind auch nicht Anhänger eines gewissen Herrn Gülen. Wir tun es, weil wir uns den Werten der Friedlichen Revolution von 1989 verpflichtet fühlen, die sich ausdrücken in den Losungen KEINE GEWALT, WIR SIND DAS VOLK, SCHWERTER ZU PFLUGSCHAREN und OFFEN FÜR ALLE. Weil wir aus tiefster innerer Überzeugung gegen jede Form der Gewalt eintreten und weil wir angesichts der Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit in großer Sorge sind um den Zusammenhalt des demokratischen Europa und das Wohlergehen seiner Bürger. Wir tun es aber auch, weil jährlich hunderttausende Deutsche in Ihr wunderbares Land Reisen, um die schönsten Wochen des Jahres an Ihren traumhaften Stränden zu verbringen oder um etwa in Kappadokien auf den einzigartigen Spuren des Apostel Paulus zu wandeln. Und wir tun es schließlich, weil wir wollen, dass das Zusammenleben mit mehr als 3 Millionen Ihrer Landsleute hier in Deutschland weiterhin gut, vielleicht künftig noch besser funktioniert. Dies wird jedoch nur dann gelingen, wenn unser Dialog nicht abreißt.
Wenige Stunden nachdem feststand, dass der Militärputsch in Ihrem Lande gescheitert war, haben Sie, so zitiert Sie unter anderem die deutsche Tageszeitung DIE WELT gesagt: „Der gescheiterte Putsch ist ein Geschenk Allahs.“ Da Sie möglicherweise davon ausgehen durften, dass er scheitern würde, meinten Sie damit wohl nicht, dass das Scheitern des Putsches ein Geschenk Allahs sei, sondern vielmehr sein Stattfinden. Denn das hat Ihnen den Weg geebnet, fortan Ihre Macht uneingeschränkt auszubauen und zu manifestieren. Ist es dann nicht zynisch, bei 265 Toten die im Zuge des Putsches ihr Leben verloren, von einem Geschenk Allahs zusprechen?
Seit dem 16. Juli haben Sie nach Berichten unter anderem der Süddeutschen Zeitung mehr als 18.000 Menschen verhaften, zehntausende Staatsbedienstete entlassen oder suspendieren, dutzende Zeitungen und Rundfunkanstalten schließen, die Personalpapiere von mehr als 50.000 Menschen für ungültig erklären lassen, um deren Ausreise zu verhindern und im Ausland lebende türkische Intellektuelle zur Rückkehr in die Türkei aufgefordert. Sie führen öffentliche Listen zur Denunziation Ihrer mutmaßlichen Gegner, auch in unserem Land und laut Amnesty International lassen Sie zahlreiche Ihrer Gefangenen derzeit sogar foltern. All dies, um Ihre Macht zu mehren, all dies, um Rechtstaatlichkeit und Demokratie auszuhöhlen. Sie stützen sich dabei auf Ihr Volk, dem Sie zugegebenermaßen einst Gutes getan haben und welches Sie auf demokratischem Wege gewählt und Ihnen sein Schicksal anvertraut hat. Ein Volk, das Sie, die Gunst der Stunde nutzend, nunmehr sogar instrumentalisieren wollen, eines der grausamsten Werkzeuge der Machterlangung und ihres Erhalts wiedereinzuführen, die Todesstrafe.
Dem Sender Al-Dschasira sagten Sie sinngemäß: „In der Weltmacht USA gibt es sie auch. Wenn das Volk sie will, werde ich sie wieder einführen“ und meinten damit die erst im Jahre 2002 in der Türkei abgeschaffte furchtbarste Art der Folter, die Todesstrafe. In Europa spricht man von einer
roten Linie, die mit der Wiedereinführung der Todesstrafe überschritten sei. Man werde spätestens dann die Beitrittsverhandlungen mit Ihnen einstellen. Angesichts der jüngsten Entwicklungen in Ihrem Land sind Zweifel angebracht ob Sie diese Drohung beeindruckt. Sie haben, das berichten mehrere deutsche Medien, die EU kritisiert und gesagt: „Seit 53 Jahren klopfen wir an die Tür der EU, und Sie haben uns 53 Jahre warten lassen.“ Ich räume ein, Verständnis zu haben für Ihre Enttäuschung und bin bei Ihnen, dass man den Vertretern der EU und einzelnen europäischen Spitzenpolitikern diesbezüglich einmal mehr schwerwiegende Versäumnisse in Sachen politischer Empathie, Diplomatie und Feingefühl vorwerfen muss. Wie etwa auch hinsichtlich der Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine oder des Zeitpunkts der Beschlussfassung der Armenienresolution. Gleichwohl rechtfertigen solche Versäumnisse keinesfalls einen Staatsstreich und ebenso wenig Ihre offensichtlich ernsthaften Anstrengungen, die Todesstrafe in Ihrem Land wiedereinzuführen.
Wie peinlich, dass eine der ältesten Demokratien der modernen Welt, die USA, Ihrer Legitimation dienen muss. Möge diese Peinlichkeit der Selbsterkenntnis dienen und die amerikanischen Bundesstaaten, die die Todesstrafe nach zehnjähriger Pause 1977 wiedereinführten, zur Umkehr bewegen. Immerhin wird in den USA mittlerweile in nur noch 31 der 50 Staaten die Todesstrafe vollstreckt. Als letzter Staat hat im vergangenen Jahr Nebraska die Todesstrafe abgeschafft mit der Begründung, sie sei grausam und nicht mit der Menschenwürde vereinbar. Dabei ist seit Jahrzehnten mehrfach bewiesen, dass die Todesstrafe mitnichten eine Reduzierung der Kriminalität bewirkt, dass es regelmäßig zu Fehlurteilen kommt, so mussten alleine in den USA seit 1977 160 Gefangene wegen erwiesener Unschuld aus dem Todestrakt entlassen werden und dass Delinquenten in der Todeszelle den Staat wesentlich mehr Geld kosten, als reguläre Gefangene. Selbst wenn all das nicht so wäre, gilt: Kein Staat der Welt hat das Recht einem Menschen von Gesetzes wegen das Leben zu nehmen. Jeder Politiker, jeder Richter, jeder Arzt, jedes Pharmaunternehmen, jeder Gefängnismitarbeiter lädt die höchste denkbare Schuld auf sich, wenn er an der Verhängung und Ausführung der Todesstrafe in irgendeiner Weise mitwirkt. Dies gilt übrigens auch für österreichische Bodybuilder, die in ihrer Eigenschaft als Gouverneur von Kalifornien nicht von ihrem Recht der Begnadigung Gebrauch machen.
Nun wird auch dieser moralische Appell Sie möglicherweise wenig beeindrucken, vielleicht aber den einen oder anderen Ihrer Anhänger zum Nachdenken bringen. Dieser könnte sich dann die Frage stellen ob er künftig wirklich in einem Land leben möchte, das zumindest innerhalb des Kreises westlicher Demokratien stigmatisiert ist als in mittelalterliche Verhaltensmuster zurückgefallen, als Land ohne Gewaltenteilung, in welchem jedermann jederzeit ohne weiteres von Staats wegen sein Leben verlieren kann, als Land, in dem angesichts der bisherigen gigantischen Verhaftungszahlen im Zuge Ihrer sogenannten Säuberung, die an die dunkelsten Zeiten unserer europäischen Geschichte erinnern, hunderte, wenn nicht gar tausende wohl als Hochverräter zum Tode verurteilt und womöglich hingerichtet werden. Ich hoffe, dass es viele geben wird oder schon gibt, die sich das nicht vorstellen können und wollen.
Das letzte Opfer eines vollstreckten Todesurteils im heutigen Deutschland war Werner Teske. Er wurde am 12. Juni 1981 wegen Spionage und Fahnenflucht zum Tode verurteilt und am 26. Juni 1981 durch „überraschenden Nahschuss“, wie es fachmännisch heißt, im Gefängnis in der Alfred- Kästner- Straße, hier in Leipzig hingerichtet. Wie überall auf der Welt, diente auch diese Hinrichtung der Rache an einem Regimegegner, in erster Linie jedoch der Zementierung der Macht des Regimes. Solche Regime jedoch sind stürzbar, wie die Bürger dieser Stadt eindrucksvoll am 9. Oktober 1989 bewiesen haben. Und sie sind auch verhinderbar. Für beides jedoch ist Mut und Entschlossenheit notwendig. Verharrt die Deutsche Bundesregierung, Europa und der Westen weiterhin in der Rolle des Beobachters, höchstenfalls aber des zögerlichen Mahners, wird eine
Verhinderung des Unheils, das sich in Ihrem Land derweil überdeutlich abzeichnet, nicht gelingen.
Ich fordere Sie auf, Herr Erdogan, zum Wohle Ihrer Bürger, aber auch zum Wohle Europas, der Flüchtlinge aus den Krisenregionen des nahen Ostens, zum Wohle Ihrer bei uns lebenden Landsleute und zur Bewahrung des Friedens nicht nur in Ihrem Land: Kehren Sie zurück zur Rechtsstaatlichkeit, stoppen Sie die Verhaftungswelle, verzichten Sie fortan auf jede Form der Gewalt, gewähren Sie Pressefreiheit und kehren Sie zurück zur Demokratie. Vor allem aber, hören Sie damit auf, Ihr Volk zu ermutigen, die Wiedereinführung der Todesstrafe zu verlangen und hierfür Mehrheiten zu organisieren.
Die Deutsche Bundesregierung fordere ich auf: stellen Sie sich entschiedener als bisher der Erosion der Demokratie in der Türkei und der schleichenden Entstehung einer Diktatur in diesem Land entgegen. Wie wollen Sie künftig den Autokraten dieser Welt entgegentreten, wenn Sie Herrn Erdogan gewähren lassen. Wie wollen Sie den sozialen Frieden in Deutschland sichern, wenn tausende Bürger mit türkischen Wurzeln in Angst vor dem langen Arm Erdogans oder gar als dessen Sprachrohr und Vollstrecker unter uns leben? Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei darf dem Wohl 80 Millionen türkischer Staatsbürger nicht vorgehen!
Die EU fordere ich auf: nehmen Sie das Phänomen des Verlangens so vieler EU Bürger nach einer sogenannten Starken Hand endlich wahr und entwickeln Sie mit den Mitgliedsländern wirksame Gegenkonzepte. Denn das, was derzeit in der Türkei vor sich geht, folgt ähnlichen Prinzipien wie es der unselige Rechtspopulismus tut, der sich in zahlreichen europäischen Ländern breitmacht, auch bei uns in Deutschland: Angesichts der Globalisierung, insbesondere auch der Globalisierung der Gewalt und des Terrors und angesichts der weltweit stetig wachsenden sozialen Ungerechtigkeit sowie der Unfähigkeit die immer komplexer werdenden Zusammenhänge noch zu verstehen, verlieren die Menschen die Geduld mit der Demokratie und den Glauben an ihre Wirksamkeit. Sie öffnen sich in der Folge den Populisten, die ihnen einfache Antworten auf vermeintlich einfache Fragen geben und werden zu bequem, sich Fragen selbst zu beantworten. Sie sind somit leichte Beute für Verführer und bereit, mit allen Mitteln deren Machtfülle zu mehren und mit ihnen ins Verderben zu marschieren. All das gab es schon einmal in Europa. Es darf sich keinesfalls wiederholen!!!
Danke!

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