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Predigt von Christian Führer zum Hohen Friedensfest

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Text: Röm. 12,21
10. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Festgemeinde!

Jahr für Jahr erwirbt sich Augsburg mit dem Hohen Friedensfest gewissermaßen neu den Titel « Friedensstadt ».
Die Erinnerung geht zurück an den Augsburger Religionsfrieden von 1555, der das friedliche, gleichberechtigte Zusammenleben von Katholiken und Protestanten zunächst provisorisch ermöglichte bis zu einem endgültigen Vergleich, der, Zitat, „nicht anders denn durch christliche, freundliche, friedliche Mittel“ erstrebt werden sollte.
Es kam furchtbar anders!
„Um 1570 waren etwa sieben Zehntel der Einwohner Deutschlands evangelisch.
Die Gebildeten waren fast durchweg für die Reformation gewonnen. Die protestantischen Universitäten und Lateinschulen standen in hoher Blüte.“ (K. Heussi)
Aber bald schon fiel das Erbe der Reformation unter die Räuber. Dogmatische Streitigkeiten zerrissen das protestantische Lager. Die Glaubensklarheit und starke Persönlichkeit Luthers fehlte an allen Ecken und Enden. Die Zeit für die Gegenreformation war nie günstiger. Einfluss und Macht verschafften sich vornehmlich die Jesuiten, denen, Zitat, „die gewaltsame Unterwerfung der Ketzer als religiöse Pflicht und jeder Ausgleichsversuch als Verrat erschien“. (K. Heussi)
Die sich immer mehr zuspitzenden Auseinandersetzungen entluden sich in dem entsetzlichen 30-jährigen Krieg. Das Wort von Blaise Pascal findet hier seine furchtbare Bestätigung: „Nie tun Menschen Böses so gründlich und glücklich wie aus religiöser Überzeugung.“
Aber auch dieses Morden bis zur Erschöpfung und Ausblutung Deutschlands fand ein Ende: mit dem Westfälischen Frieden von 1648. Er brachte die Parität der Stände beider Konfessionen und damit das Ende der Unterdrückung der Protestanten.

• Am 8. August 1650 feierten die Protestanten, die Evangelischen in Augsburg mit Dank- und Friedensgottesdiensten die Rückgabe ihrer Kirchen und ihre rechtliche Gleichstellung und Freiheit.
Das ist bis heute unvergessen. Und das ist gut so.

→ Auf dem Hintergrund dieses ganzen Geschehens erbitterter Gewalt auf beiden Seiten hören wir die Worte des Paulus wie aus einer anderen Welt:
Vergeltet niemand Böses mit Bösem…(V17)
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (V21)
Es sind Worte, es ist eine alternative Wirklichkeit, die Paulus direkt aus der Botschaft und dem Leben JESU gewonnen hat. Ein Stück Bergpredigt, die er dem Realismus der Welt entgegensetzt, obwohl er und weil er weiß, wie die Welt sich immer neu im Muster von Gewalt und Gegengewalt, von Unterdrückung und Ungerechtigkeit im Teufelskreis dreht.

Es ist noch nicht so lange her, dass die Macht des Bösen für überwindbar gehalten wurde. Die Grundanliegen der Aufklärung:
die Freiheit im Denken und Handeln, die Priorität von Wissen und Vernunft, denen Tugend und Gerechtigkeit wie selbstverständlich folgen werden, der Optimismus „der Mensch ist gut“ und die Welt ist erkenn- und veränderbar sind vom Sozialismus und Kommunismus übernommen worden. Man war der Überzeugung, man könne durch Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse dem Bösen in der Welt die Grundlage entziehen und den Menschen das Böse gewissermaßen abgewöhnen mit der Zeit. Das alles scheiterte an der Realität der Welt, einer Welt, der sie selbst mit Haut und Haaren und allen Verbrechen verhaftet waren.
→ Der Realsozialismus ist durch Lenin und Stalin mit Millionen von Toten und einer entsetzlichen Unmenschlichkeit,
→ der Nationalsozialismus durch Hitler mit Millionen von Toten, Krieg und fabrikmäßiger Ermordung ganzer Völker in den Abgrund gefahren.
Zuviel Lehrgeld für einen Traum, der an der Wirklichkeit vorbeigeht…
Neben der Negierung der Natur des Menschen gibt es den immer neuen alten Versuch, das Böse auf den jeweils anderen zu lokalisieren und zu beschränken. Es ist noch keine 10 Jahre her, da wurden Schurkenstaaten und eine Achse des Bösen ausgemacht, der Krieg nach der immer gleichen Devise der Vernunft dieser Welt entfacht:
Gewalt kann nur mit Gewalt, das Böse nur mit dem Bösen bekämpft werden, ein Kreuzzug natürlich im Namen des Guten, der Freiheit und was weiß ich.
• Eigentlich weiß es ja jeder Mensch, wenn er wirklich ehrlich ist, dass das Böse in jedem Menschen, auch in einem selbst steckt und wie eine Krankheit jederzeit ausbrechen kann!
Das ist die Realität!
Wer davor die Augen verschließt, wird niemals einen Weg aus der Friedlosigkeit, aus Hass und Gewalt finden.
Der wird in seinem eigenen Leben niemals zur Ruhe finden, sondern sich mit Ausreden und Ängsten von Tag zu Tag hangeln, immer die anderen und die Verhältnisse beschuldigend, selbst unfähig sein, etwas zu Gerechtigkeit, Frieden und zum Gemeinwohl beizusteuern.

Paulus hat einige Kapitel zuvor im Blick auf sich selbst schonungslos festgestellt (Röm. 7,18+19):
„Denn ich weiß, dass in mir, so wie ich von Natur bin, nichts Gutes wohnt. Das Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“
Erklär das mal jemandem! Aber so ist es! Haben wir das nicht alle schon erlebt, dass wir Dinge taten, die wir nicht wollten und gleich gar nicht gutheißen konnten?
Und weil es so mit uns und der Menschheit steht, sind wir von Natur aus auch nur in der Lage, Gewalt mit Gewalt, Böses mit Bösem zu vergelten.
Was ist da noch zu machen?
Bleiben nach dieser schonungslosen Analyse des Paulus überhaupt noch Optionen offen, oder bleibt nur die totale Resignation als logische Folge, da ja alle schönrednerische Versuche, diese Wirklichkeit zu umgehen, bereits gescheitert sind?

Paulus findet zu einer völlig unerwarteten Antwort. Als ob er nicht derselbe wäre schreibt er:
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (V21)
Aber das ist ja gerade das Paradoxe, das Dilemma, dass das so nicht geht:
„Das Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht…“
Da muss noch etwas dazu kommen. Entscheidendes zuvor kommen! Das, was Paulus zuvor in den Versen 11+12 schreibt:
„Lasst euch vom GEIST entzünden!
Dient dem HERRN.
Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Bedrängnis, beharrlich im Gebet!“
So nur kann er gegangen werden, der neue ungewöhnliche Weg!
Wenn die Enttäuschungen vorbei und die Irrtümer verbraucht sind, sehen wir auf JESUS. DER auch solche fragwürdigen Gestalten wie Paulus und uns mit SEINEM GEIST und SEINER Kraft auszustatten bereit ist!
Ohne Gebet und persönliche Beziehung und immer neue Zuwendung zu JESUS ist hier nichts getan!
Nur in der Nachfolge dieses einzigartigen HERRN kann geschehen, was uns von Natur aus nicht möglich ist: Das Böse mit Gutem, die Gewalt mit der Macht der Gewaltlosigkeit zu überwinden!
→So, wie wir es 1989 erlebt haben.
Da ist die wunderbare Frucht jahrelanger, seit 1982 ununterbrochener wöchentlicher Friedensgebete in der Nikolaikirche aufgegangen.

Am 9. Oktober 1989, dem Tag der Entscheidung, wurde die Nikolaikirche im Verbund mit den anderen Innenstadtkirchen zum Ausgangspunkt der Demonstrationen der 70.000 und damit zum Kernpunkt der Friedlichen Revolution überhaupt. Immer wieder hatte die Bergpredigt JESU eine zentrale Rolle gespielt. Immer wieder, so auch an diesem Tag, die Bitte: „Lasst die Gewaltlosigkeit nicht in der Kirche stecken, nehmt sie mit hinaus auf die Straßen und Plätze!“ Denn Beten und Handeln, drinnen und draußen, Altar und Straße gehören zusammen!
Was mich am meisten bis heute bewegt: Mit dem Ruf „Keine Gewalt!“ war die Bergpredigt JESU auf den Nenner gebracht! Aus dem Volk geboren, nicht von einem Pfarrer oder Bischof formuliert. Und sie haben nicht nur gedacht oder gerufen „Keine Gewalt!“, sondern haben die Gewaltlosigkeit konsequent auf der Straße praktiziert. Menschen, die in zwei unterschiedlichen atheistischen Weltanschauungsdiktaturen aufgewachsen waren. Bei den Nazis mit Rassenhass und Kriegsvorbereitungen. An die Stelle GOTTES war die „Vorsehung“ getreten. Bei den Realsozialisten mit Klassenkampf und Feindbild und atheistischer Propaganda: „Euren JESUS hat’s nie gegeben, und euer Gefasel von Gewaltlosigkeit ist gefährlicher Idealismus. In der Politik zählen Geld, Armee, Wirtschaft, Medien. Alls andere kannst du vergessen!“ Dass die so erzogenen Menschen im GEIST JESU der Gewaltlosigkeit draußen auf der Straße handelten – wenn je etwas das Wort „Wunder“ verdient, dann das. Ein Wunder biblischen Ausmaßes!

Eine Friedliche Revolution ohne Blutvergießen, eine Revolution, die aus der Kirche kam: das hat es in Deutschland noch nie gegeben. Einheit Deutschlands ohne Krieg und Sieg dieses Mal.
„Und die Kirche endlich einmal bei ihrem HERRN“, wie Heinrich Albertz sagte, „auf der richtigen Seite: bei den Unterdrückten und nicht bei den Unterdrückern, beim Volk und nicht bei den Mächtigen!“
Wenn die Kirche bei ihrem HERRN ist, wo sie hingehört, und im Vertrauen auf IHN und SEIN Wort das Menschenunmögliche wagt: was da möglich wird! Einfach unglaublich!
Das darf man nicht nur erinnern!
Oder nur so, wie es Ernst Bloch formuliert hat:
„Nur jenes Erinnern ist fruchtbar, das zugleich erinnert, was noch zu tun ist!“
In Kirche, Welt und bei mir selbst!
Da ist zunächst dankbar zu sagen, dass schon etwas getan wurde. Augsburg selbst ist ein Beispiel dafür. Der 8. August mit dem Hohen Friedensfest selbst ist der Höhepunkt des Augsburger Kalenderjahres. Es wird von Protestanten und Katholiken gemeinsam mit dem Runden Tisch der Religionen und an der Friedenstafel mit Menschen unterschiedlicher Prägung und Herkunft gefeiert.
• 1999 wurde nicht zufällig in Augsburg die – das muss ich jetzt richtig ablesen – „Unterzeichnung der gemeinsamen Offiziellen Feststellung zur Bestätigung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ vorgenommen. An der Formulierung erkennen wir schon, dass das Verhältnis beider Kirchen so unkompliziert noch nicht ist.
• Zwei Ökumenische Deutsche Kirchentage gab es mit dem Wunsch nach gemeinsamem Aufbruch.
• Die Vision „ versöhnter Verschiedenheit“ klingt angenehm durch die Kirchenlandschaften. Der Durchbruch und Aufbruch ist das noch nicht.
Zu sehr sind wir in den überkommenen Strukturen, im Sicherungsdenken und in der Angst vor wirklichen Veränderungen gefangen.
So kratzen wir lieber die Reste von Vernunft und gutem Willen zusammen, verfassen immer neue Papiere in unerträglicher Ausgewogenheit und bestürzender Wirkungslosigkeit und kommen in Randfragen das eine oder andere Schrittchen voran.

An der Hand unseres HERRN, im Vertrauen auf IHN und SEIN Wort das Menschenunmögliche zu tun sieht anders aus!
1. Das wäre z. B. die Anerkennung der Augsburger Confession von 1530 durch die Katholische Kirche!
2. Das wäre z. B. der Weg des Papstes auf die Wartburg, um den Bann gegen Luther von 1521 aufzuheben, wie schon bei Galilei geschehen
3. Das wäre z. B. bei den evangelischen Kirchen ein stärkeres Ernstnehmen von Liturgie und Kirchenmusik und die allsonntägliche Feier des Hl Abendmahles.
4. Das wäre z. B. die Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft beider Kirchen. Denn nicht unser ist das Wort, das wir zu verkündigen haben. Denn nicht die Kirchen oder Konfessionen laden zum Hl Abendmahl, zur Eucharistie ein, sondern CHRISTUS selbst lädt uns ein an SEINEN Tisch.
Vier Schritte z. B., die die Ökumene ehrlicher, substantieller, geschwisterlicher gestalten und die Kirche gegenüber Welt und Nichtchristen glaubwürdiger machen würden.

An JESUS erinnern heißt erinnern, was noch zu tun ist!
Auch in der Gesellschaft!
Die Banken- und Finanzkrise zeigt, dass dieses Finanz- und Wirtschaftssystem nicht zukunftsfähig ist, ja, dass sich der Kapitalismus gewissermaßen selbst entlarvt. Sein gnadenloses Gesicht zeigt sich in der Arbeitslosigkeit und ihren Folgen, wie wir es eingangs eindrücklich gehört haben. Noch wird in den reichen Ländern mit gigantischen Neuverschuldungen und imaginären Geldsummen der Schein einer Lösung des Problems aufrechterhalten. Aber die Milliarden Hungernder, Unterdrückter, an ausbeuterischen ungerechten Strukturen Leidender stehen wie eine unheilvolle, dunkle, immer größer werdende Wolke über uns! Die Wurzelsünde des Globalkapitalismus, die Anstachelung der Gier, muss überwunden werden!
Schon dreieinhalb Jahrhunderte vor Karl Marx und 500 Jahre vor uns heute stellte Luther fest: Der Markt muss durch „Gesetz und Gewissen begrenzt“ sein und den Menschen dienen, nicht umgekehrt, sonst wird der Mensch zur Ware.
Teil 2 der Friedlichen Revolution steht uns also noch bevor, allerdings unter den erschwerten Bedingungen des Wohlstandes: eine Wirtschaftsform der „solidarischen Ökonomie“ zu entwickeln, die die JESUS-Mentalität des Teilens praktiziert, in der der Mensch, nicht Geld und Profit an erster Stelle steht.

Gut gesagt. Aber…
Alles unrealistisch. Geht alles nicht. Weder in der Kirche noch in der Gesellschaft…

Genau das haben wir vor dem 9. Oktober 1989 auch schon gehört:
„Ihr denkt doch nicht, dass ihr mit Euren Kerzen und Gebeten was ändern könnt?“
Wir nicht. Aber JESUS, DESSEN GEIST uns erfasst und entzündet, DESSEN „Kraft in den Schwachen mächtig ist.“ (2. Kor. 12a)
Und es wurde möglich, was unmöglich war…

Wenn sich viele heute wie in einem Irrgarten der Resignation und Mutlosigkeit vorkommen und sich mit dem pausenlosen Ablaufen der immer gleichen Wege bereits freudlos zufrieden gegeben oder depressiv abgefunden haben – denken wir daran: Der Irrgarten ist oben offen!
Wir brauchen wieder den Aufblick!
Den Aufblick, um uns orientieren zu können!
Den Aufblick zu JESUS, damit geschehen kann, was uns von uns aus nicht möglich ist:
„Das Böse mit Gutem“ (Röm. 12, 21) zu überwinden. Dinge zu tun, von denen andere meinen, es sei unmöglich, sie zu tun. Bleiben wir in der Nachfolge unseres einzigartigen HERRN diesen Dingen voller Erwartung auf der Spur, nicht fanatisch und verspannt, sondern mit der Freude, die aus der Gewissheit kommt: „Der HERR ist nahe!“ (Phil 4, 5b)

Amen.

Pfarrer em. C. Führer, Leipzig

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