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Laudatio auf Christian Führer von Margot Käßmann

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Anlässlich der Verleihung des Wilhelmine-von Bayreuth-Preises für Toleranz und Humanität in kultureller Vielfalt
Prof. Dr. Margot Käßmann
Bayreuth 3. April 2014

Kann eine Pfarrerin aus dem Westen überhaupt einen Pfarrer aus dem Osten laudatieren – die Frage habe ich mir gestellt, als Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe mich in einem Telefonat freundlich-eindringlich bat, eben dies zu tun. Da gibt es durchaus Hürden und Schwierigkeiten, auch 25 Jahre nach der friedlichen Revolution. Die Lebenswirklichkeiten in den Pfarrhäusern Ost und West waren sehr verschieden, in der DDR nahmen viele Pfarrfamilien viele Entbehrungen und Schikanen auf sich, angefangen beim geringen Gehalt bis hin zur Konsequenz, dass die eigenen Kinder nicht studieren durften. Pfarrer im Westen dagegen hatten ein Gehalt von A 13, gute Absicherung und gesellschaftliche Anerkennung.

Und als 1989 die friedliche Revolution tatsächlich die Mauer zu Fall gebracht und das SED Regime abgesetzt hatte, wollten viele Pfarrer und Engagierte im Osten eine andere DDR, bei der Vereinigung doch wenigstens eine Berücksichtigung ihrer Anfragen mit Blick auf das westdeutsche Kirchensteuersystem, den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen und die Militärseelsorge. Am Ende wurden die westdeutschen Gegebenheiten auf die neu entstehende Evangelische Kirche in Deutschland insgesamt übertragen, das hat zu manchen Enttäuschungen geführt.

Es gab und gibt aber eine Verbundenheit in der Sache – vor der friedlichen Revolution und nach der friedlichen Revolution. Ich denke, sie hängt mit der Friedensdekade zusammen, die ab dem Jahr 1980 aus einem Impuls aus den Niederlanden in Gemeinden in Ost- und Westdeutschland gefeiert wurde. Zehn Tage im November, die Volkstrauertag, Buß- und Bettag sowie Toten- bzw. Ewigkeitssonntag einschließen, in denen das Friedensthema eine besondere Rolle spielte. Aus dieser Friedensdekade heraus entwickelte sich in Leipzig der Wunsch, nicht nur in diesen Tagen, sondern regelmäßig die Friedensfrage zu thematisieren. So kam es am 20. September 1982 zum ersten Friedensgebet in der Nikolaikirche, das seitdem jeden Montag stattfindet, bis heute.

Ich bin überzeugt, dass diese Dekade eine der zentralen Brücken für die evangelische Kirche zwischen Ost und West gebaut hat. Gewiss, es gab Begegnungen des Rates der EKD mit dem Bund Evangelischer Kirchen in der DDR, die beiden Kirchentagspräsidien standen in regelmäßigem Kontakt und auch Gemeindepartnerschaften wurden gepflegt. Bei der Dekade war das besondere, dass es um ein gemeinsames Thema ging. Das Bedrohungspotential durch die Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Deutschland Ost und West wurde deutlich wahrgenommen. Und es war eine Bewegung der Basis, vor allem die Jugendpfarrämter hatten das Thema zunächst aufgegriffen. Mit der Vollversammlung in Vancouver 1983 wurde die Dekade ausgeweitet auf die Themen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Das Zeugnis von Martin Luther King, der Anti-Apartheidskampf in Südafrika, die Umweltzerstörung im Namen des Wirtschaftswachstums – es waren gemeinsame Themen, so verschieden der Kontext. Der Kirchentag 1983 hat das symbolisch deutlich gemacht. In der DDR hieß das Motto der verschiedenen Regionalkirchentage: „Vertrauen wagen!“ Symbolisch wurde in Wittenberg ein Schwert umgearbeitet in einen Pflug und ein Zitat des Propheten Micha, Schwerter zu Pflugscharen wurde zur Provokation für die SED. In Westdeutschland stand der große Kirchentag in Hannover unter der Losung „Umkehr zum Leben“. Er war geprägt von Tausenden von Menschen, die gegen den ausdrücklichen Willen von Kirchenleitung und Kirchentagsleitung beim Schlussgottesdienst ein lila Tuch trugen, auf dem stand: „Ein Nein ohne jedes Ja zu Massenvernichtungsmitteln.“ Aus dieser Zeit stammen viele unserer Verbindungen. Wir haben uns positiv wahrgenommen gegenseitig und konnten nach der friedlichen Revolution anknüpfen an die gemeinsam Tradition im konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung.

Nun aber zu Christian Führer persönlich, der heute von mir zu laudatieren ist. Er stammt aus einer regelrechten Pfarrerdynastie: Vater, Großvater und Urgroßvater waren Pfarrer, und seine Kinder Katharina und Sebastian sind es nun auch. Die Bindung an den Leipziger Thomanerchor hat in der Familie eine lange Tradition, nur Christians Generation gehörte nicht zu den Thomanern, sehr wohl aber der Vater, zwei seiner Söhne und heute sein Enkel Ansgar als neunter aus der Familie. Und so ist es passend, dass er heute hier singt. Bei Christian Führer und seiner Familie ist damit auch die Bindung an Johann Sebastian Bach ganz besonders ausgeprägt. Was das bedeutet, ist für Außenstehende nur schwer zu begreifen, denke ich. Für viele Evangelische ist Bach in der Tat „der fünfte Evangelist“, seine Kantaten klingen in unseren Ohren, wenn wir biblische Texte lesen. Kardinal Lehmann hat mich einmal gefragt, ob wir wirklich so sehr an der Lutherübersetzung hängen und ich habe deutlich gemacht, dass auch Bach dafür verantwortlich ist. Die Worte haben sich tief einprägt gerade auch durch die Musik.

So hat es mich nicht verwundert, in Christian Führers Autobiografie unter dem schönen Titel „Und wir sind dabei gewesen“ zu lesen, dass seine Frau an einen möglichen Partner zwei klare Ansprüche hatte: „Wer Johann Sebastian Bach nicht kannte und nichts von Jesus hielt, der fiel sofort durchs Raster.“ Wer einmal Monika und Christian Führer zusammen erlebt hat, konnte spüren, dass diese Grundlage von Gemeinsamkeit sie getragen hat durch all die Jahre ihrer Ehe. Sie wussten, wo sie Halt und Orientierung finden konnten in guten und in schweren Zeiten. Daher ist nachzuempfinden, wie schwer Christian der Verlust von Monika im vergangenen Jahr getroffen haben muss. Wie wunderbar, dass sie vier so großartige Kinder haben, das ist ein Segen, ein Geschenk. Schön auch, dass ihr heute hier seid und für Euren erkrankten Vater den Preis entgegen nehmt. Unsere herzlichen Segenswünsche begleiten ihn!

Christian hat einmal gesagt, dass es nicht selbstverständlich ist, dass seine Kinder in diesem Glauben verwurzelt sind, Glaube lässt sich nicht einfach vererben. Manche Kinder haben ja auch gehadert mit dem Pfarrhausdasein, nicht für alle war es eine Idylle. Wie heißt es so schön: „Pfarrers Kinder, Müllers Vieh, gedeihen selten oder nie.“ Vor einigen Jahren aber habe ich die Fortsetzung kennen gelernt: „Wenn sie aber wohl geraten, spricht die Welt von ihren Taten!“ Auf jeden Fall der Vater findet, dass Katharina, Sebastian, Martin und Georg sehr wohl geraten sind und freut sich an ihnen und den Enkeln. Das kann ich sehr gut nachempfinden. Es ist ein großes Glück, ja ein Segen, Kinder zu haben.

Nun ist eine Laudatio nicht der Ort, das Leben eines Menschen nachzuerzählen, sonst hätte jemand heute schlicht aus seiner Autobiografie vorlesen können. Zudem hat er sich selbst bei seinem letzten Gottesdienst vorgenommen, sich nicht „in Aufzählungen über die Vergangenheit zu verlieren.“ Drei Punkte will ich aber doch ansprechen, bevor ich auf einen grundsätzlichen Gedanken zu sprechen komme:

Zuerst: Der kleine, vierjährige Christian Führer musste am Ende des Zweiten Weltkrieges erleben, wie erst amerikanische, dann sowjetische Panzer durch sein Dorf rollten. Dort, so schreibt er, habe sich wohl „eine frühkindliche Abneigung gegen das Militär“ begründet. Die schwere Zeit der Mutter allein im Pfarrhaus ohne Einkommen mit drei Kindern, Heimkehr des Vaters aus der Gefangenschaft, das war prägend – wir wissen heute aus der Elementarpädagogik, wie sehr die ersten sechs Lebensjahre für das ganze Leben Weichen stellen. Sodann: In seiner Autobiografie schildert Christian Führer eindrücklich den Alltag eines Pfarrers in der DDR, zunächst zwölf Jahre auf dem Dorf in Lastau und Colditz, ab 1980 dann an der Nikolaikirche in Leipzig. Im Grunde sieht er mit der Sprengung der Universitätskirche in Leipzig 1968 und den anhaltenden Protesten eine Linie bis hin zu gewaltfreien Revolution des Jahres 1989. Viele kleine und größere Linien werden aufgezeigt, die Diskussion über den Wehrdienst in der Jungen Gemeinde etwa oder 1972 auch über das neue Abtreibungsrecht etwa in der Dorfgemeinde von Lastau und Colditz, bei der sich die Kirche bereits als Ort erwies, an dem kontrovers über strittige Fragen debattiert werden konnte. Das setzte sich fort in Leipzig, wo vor allem die Junge Gemeinde sich mit ihrem Pfarrer an kontroverse Fragen wagte, etwa die Diskriminierung Homosexueller. Und schließlich: In Erich Loests Roman „Nikolaikirche“ ist Christian Führer als „der Pfarrer mit der Jeansweste“ bekannt geworden.

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