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Erklärung der Stiftung Friedliche Revolution zum 9. Oktober 2010

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Der 9. Oktober 1989 ist das Kerndatum der Friedlichen Revolution in der DDR! Ausgehend von den Leipziger Innenstadtkirchen versammelten sich 70.000 Menschen und zogen letztlich unbehelligt von der Staatsmacht über den Innenstadtring. Der Tag steht für das demokratische, mutige, kreative Engagement der Menschen in der DDR, die, ihre Angst überwindend, friedlich und gewaltfrei ihre Freiheit und letztlich die Einheit unseres Landes errungen haben. Mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ und „Keine Gewalt“ stellten sie sich mutig den bewaffneten Staatsorganen entgegen und trugen damit maßgeblich zum Sturz des DDR-Regimes bei. So wurde der 9. Oktober zum Tag der Entscheidung.

Wir können stolz auf diesen Tag sein, der für alle Deutschen beispielgebend und sinnstiftend ist. Es gibt in der deutschen Geschichte kein Datum, das den Mut und den Freiheitswillen der Menschen besser zum Ausdruck bringt.

Am 9. Oktober 2010, 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, ist der Ruf der Menschen „Wir sind das Volk“ und „Keine Gewalt“ erneut zu hören, diesmal überwiegend in den alten Bundesländern. Wir denken hierbei an „Stuttgart 21“, aber auch an Bürgerproteste zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke oder an das Bürgerbegehren zum Rauchverbot in Bayern. Die heutigen Demonstrationen sind von ihren Ursachen und Zielen her selbstverständlich nicht vergleichbar mit dem Aufbegehren der Menschen im Herbst 1989 gegen den allmächtigen, allseits bevormundenden und grundlegende Freiheitsrechte vorenthaltenden SED-Staat.

Aber sie sind auch Ausdruck eines neuen bürgerschaftlichen Selbstbewusstseins aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Menschen mischen sich ein, übernehmen Verantwortung und wollen sich nicht mit Entscheidungen abfinden, die zwar verfassungsgemäß und rechtstaatlich zustande gekommen sind, aber offensichtlich von der Mehrheit der Bevölkerung nicht getragen werden. Der Protest spiegelt auch die Parteiverdrossenheit und die Entfremdung zwischen Bürgern und Berufspolitikern wider.

Wie gehen wir damit um? Ist dies eine Gefahr für unsere Demokratie? – Wir denken nein, ganz im Gegenteil. Diese staatsbürgerliche Einmischung ist urdemokratisch, betont der Berliner Soziologieprofessor Dieter Rucht in einem Gespräch mit „tagesschau.de“ (04.10.2010). Denn sie zeigt, dass Menschen politisch interessiert und bereit sind, mit hohem Einsatz Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen. Demokratie lebt vom Mitmachen und nicht vom Zuschauen!

Wie ist dieser Konflikt zu lösen? Es gibt wie so oft keine einfachen Antworten. Natürlich leben wir in einem Rechtsstaat, natürlich braucht eine parlamentarische Demokratie ganz grundsätzlich den Respekt und die Akzeptanz von Entscheidungen, die in einem demokratischen Verfahren getroffen wurden. Aber nach Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Vor diesem Hintergrund greift es zu kurz, wenn Politiker rein formal jedwede Änderung einmal getroffener Entscheidungen kategorisch ausschließen.

Als Stiftung Friedliche Revolution sind wir den Wertemustern der Friedlichen Revolution in besonderer Weise verpflichtet, wie sie in den Parolen „Wir sind das Volk“, „Keine Gewalt“, „Schwerter zu Pflugscharen“ und „Offen für alle“ so treffend zum Ausdruck gebracht wurden. Wir wollen diese Werte nicht ins Museum stellen, sondern immer wieder neu danach fragen, was sie für uns heute unter gänzlich veränderten politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen bedeuten. Kommen Sie mit uns ins Gespräch, diskutieren Sie mit uns in unserem Forum (www.stiftung-fr.de/forum/) über diese Fragen und über mögliche Antworten darauf.

Leipzig, 8. Oktober 2010

 

Prof. Dr. Rainer Vor

Vorstandsvorsitzender der
Stiftung Friedliche Revolution

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